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Etappe 4: Esporles - Valldemossa - Deiá

Ich mag  nicht aufstehen. Das Bett ist super-gemütlich, die Fenster sind verdunkelt & es herrscht Stille im Zimmer. Es ist 09:00 Uhr. Ich liege seit einer Stunde wach im Bett und genieße die Ruhe. Mein Zimmerkollege schläft in dieser Zeit, bis auch er von seinem Wecker aus seinen mehrsprachigen Schlaf gerissen wird. Wir packen unsere Sachen. Er weiß noch immer nicht, wohin es ihn auf seiner heutigen Reise verschlagen soll. Einige Empfehlungen gab es am Vorabend von mir, aber von Esporles ist es nicht so atemberaubend, wenn man wandern will, um tolle Aussichten zu genießen. Dabei ist es irrelevant in welche Richtung es geht. Man läuft nur nach oben und das durch waldiges Gebiet. Er ist auch nicht wirklich auf Wandertour, sondern hat spontan günstige Flüge gefunden und ist mit leichtem Handgepäck nach Mallorca gereist, um mal Hier & mal Dort zu sein. Es geht also noch spontaner und ungeplanter als ich es bin. Verrückt. Gemeinsam frühstücken wir  alleine im Frühstückssaal, der sich unten befindet. Dabei fällt mir gerade ein, dass wir noch am Vorabend Besuch bekommen haben. Irgendein älterer Herr (um die 50 Jahre) kam 2-3 mal zu uns ins Zimmer, schaute sich verwirrt um , bis er wieder hinaus ging. Wir machten uns schon einen Jux daraus, dass wir ordentlich die Duschkabinen abriegeln, um keinen ungebetenen Gast zu bekommen. Wir bilden uns einige Theorien, wer dieser Mann sein könnte, aber kommen auf keinen gemeinsamen Nenner. An diesen Morgen ward er nicht mehr wieder gesehen. Nach dem Cerealien-Früchstück und wie es sich für einen Durchreisenden gehört, ist der letzte Gang der zur Toilette. Doch wieder werden wir verfolgt! Und das bis zur Tür!

Es tut mir jetzt schon Leid für den schlechten Wortwitz, aber das Huhn will wohl auch ein Ei legen. Wir verlassen das Sa Fita Backpackers (Sehr Empfehlenswert!). Nach nur ein paar Metern trennen sich unsere Wege und ich folge wieder meinem Ziel nach Pollença. Durch schmale Gassen geht es über eine kleine Brücke durch Esporles bis auf einen Hang hinauf. Hier wird es richtig anstrengend. Auch dieser Anstieg bleibt mir sehr in Erinnerung, denn hier kommt man nach einen vollmundigen Frühstück hart an seine (Kotz-) Grenze. Es geht gefühlt im 45°-60° Winkel nach oben, und als wenn das schon nicht reicht, geschieht das in zahlreichen Kurven. Vor mir sind drei weitere Frauen mit einem Hund. Eine davon ist um die 50-60 Jahre alt und hat stark zu kämpfen, so dass sie schnell zurück fällt. Ich gehe an ihr mühsam vorbei und vergwissere mich, ob alles in Ordnung ist. Die Frau nickt mir zu und hält sich an der Wand fest, um Kraft zu sammeln. Klar habe ich Gepäck auf dem Rücken, aber ich ziehe gleichsam meinen Hut vor ihrer Leistung. Mir wird wahnsinnig schwindelig. Eine Pause ist das, was mir als Richtig & Notwendigkeit erscheint. Das Camelbak macht sich bezahlt. Durch das regelmäßige Trinken hat man nicht allzuviel Wasser im Bauch. Dennoch schwappt die Brühe von Cornflakes, Bananen , Milch & Wasser hin und her. Irgendwie schaffe ich es soweit, dass sich der Winkel abflacht und komme von der Straße ab. Rechts von der Straße zweigt der Wanderweg ab. Ich höre aus nächster Entfernung ein Auto und dann ... über Stunden hinweg komplette Stille. Tatsächlich ist der Wind nicht vorhanden und so gibt es auch kein rascheln von Blättern in den Bäumen. Es fühlt sich so an wie damals, bei meiner ersten Wanderung, wo es durchgehend so windstill war. Es ist die Art von Wanderung auf Mallorca, die ich so lieben gelernt habe. Ich merke, wie ich vorsichtiger gehe. Unbewusst, um nicht die Ruhe um mich herum zu zerstören. Die Sonne strahlt warme Lichtflecken auf den Boden. Ich beschließe eine weitere Pause von 10-15 Minuten einzulegen, lege den Rucksack ab, hole die Mandarine raus, die mir mein Zimmergenosse gegeben hat und genieße den Moment. Die Sonne wärmt mein Gesicht. Meine Füße ziehe ich ,samt Schuhwerk und Socken, komplett aus. Die Einlegesohnen dünsten im warmen Licht vor sich hin. Generell kommt ein sichtbarer Dampf aus den Schuhen, wenn ich sie abnehme. Selbst bei warmen Wetter sieht man ihn. Eindeutig falsche Einlagen. 

Doch wenn es nur bei dem Problem mit den Blasen bleiben würde, so verspüre ich seit kurzem einen Schmerz in/an der Achillessehne am linken Fuß. Du denkst jetzt sicherlich: "Wie kann man nur so viele Probleme haben. Läuft der zum ersten Mal?". Und die Frage ist durchaus berechtigt. Ich kann dann nur das Beispiel mit dem Auto anführen. Es läuft problemlos über eine lange Strecke und auf einmal kommen immer mehr Probleme. Das wäre die eine Version meiner Verteidigung. Die andere Version ist aber noch realistischer, denn mein Problem ist immer wieder die Vorbereitung für solch eine Wanderung. Sowohl direkt davor als auch die Vorbereitung (Dehnungs-/Entspannungsübungen) am Tag der Wanderung. Mein Wille ist soweit da, dass ich weiß, dass ich es phyisch schaffe. Aber ohne eine gewisse Vorbereitung, kann es solche Probleme geben. Sie können in der Tat auch mit Vorbereitung kommen, aber man minimiert damit das Risiko. Was bringen mir schlaue & durchaus richtige Ratschläge, wenn ich mich selber nicht dran halte. Komischerweise ist es meine Bequemlichkeit. "Solange nichts weh tut, geht es mir gut" - Der Gedanke unreifer Männer.

Der Weg selbst ist wieder typisch für die Trockenmauerroute. Ausgetretene Pfade weisen den Weg nach oben. Überall sind Steinmännchen verteilt, damit man sich in Sicherheit weiß. Es ist einfach das gute Gefühl, auch wenn die Steintürme an einigen Stellen nicht von Nöten wären. Solange nicht falsch platziert, sind sie ein guter Wegweiser. Oben angekommen auf 704 Meter, dem höchsten Punkt zwischen Esporles und Valldemossa, geht es wieder rund 300 Meter bergab, bis nach Valldemossa. Man läuft in der Zeit an einem Berggrat entlang. Dabei stoße ich auf Feuerholzsammelstellen (kreisförmige, mossbewachsene Stellen). Zwei selbstgebaute Shelter gibt es hier oben. Zwei Personen finden darin locker Platz. Es ist sehr einfach gehalten. Vier Steinwände und darauf ein Dach aus Wellblech bzw -pappe. Doch sollte es mal zu einem Gewitter oder schweren Unwetter kommen, ziehe ich diese Hütte einem Baum vor. 

 

 

Es geht wieder hinab durch bewaldetes Gebiet, bis ich auf einem Vorsprung vor Valldemossa stehend die gesamte Stadt überlicke. Eigentlich zücke ich gerade mein Smartphone, um Sarah ein Fotos zu schicken. Das WiFi im Handy ist noch aktiviert  und ich sehe wie es sich plötzlich verbindet. Wie kann das möglich sein? Ein öffentlich Hotspot proudly presented by Mallorca.

Bekannt wurde das Bergdorf Valldemossa jedoch dadurch, dass der polnische Komponist Frédéric Chopin den Winter 1838/39 dort mit der französischen Schriftstellerin George Sand verlebte. Diese schrieb später über diesen Winter mit Chopin das Buch Ein Winter auf Mallorca, in welchem sie die Landschaft sehr malerisch beschreibt. (Wikipedia) 

 

Valldemossa ist und bleibt bis jetzt die schönste Stadt auf dem Weg. Dabei ist der Anspruch hoch angesetzt, denn die anderen Städtchen & Dörfer brauchen sich nicht zu scheuen. Jede ist etwas besonderes in & für sich. In Valldemossa gibt es allerlei verwinkelte Gassen und auch strenge Anstiege der Wege, so dass hier eine großartige Räumlichkeit entsteht. Was besonders ins Auge sticht ist, trotz Wasserknappheit auf der Insel, die natürliche Vegetation, die mit vielen, verschiedenen Pflanzen und Blumen geschaffen wurde. Es gibt keine Gasse, kein Fenster, welches prächtig und liebevoll geschmückt und verziert ist. An jedem Haus in Valledemossa sieht man, dass hier die Religion ein wichtiger Bestandtteil des Lebens ist. Die junge Maria ziert sämtliche Wohnungen. Ich beschließe für mich selbst noch in ein kleines Bistro zu gehen und mir bodenständiges, deutsches Essen zu bestellen: Spaghetti Bolognese. Hier kann der Koch alles richtig oder  falsch machen. Letzteres ist hier der Fall, aber ich habe Hunger und esse, bis auf den blanken Teller, alles auf. Nebenbei gönne ich mir noch eine heiße Schokolade, denn mir ist kalt. Bin ich noch am Flughafen durchgeschwitzt herumgelaufen, so habe ich mich schnell an die Temperaturen angepasst und friere bei 10°C- 12°C. An sich ist es normal, wenn man aus dem 0°C kalten Deutschland gekommen ist. Doch der Wind kühlt hier zusätzlich aus, so dass ich bei Ruhepausen schon mal Merinopullover, Fleecejacke und die Thermoballjacke von TNF anhabe. Gerade in den Mittagspausen geht es mit meinem Körper spürbar bergab. Durch die angeregte Verdauung fährt der Körper runter und kühlt aus. Zu dem Zeitpunkt wünsche ich mir meist, nicht den Fehler begangen zu haben, in ein Restaurant oder Imbiss zu gehen. Aber ohne Energie geht es schließlich auch nicht. Ich will nochmal für kleine Jungs auf die Toilette und frage die Bedienung, wo die Toilette zu finden ist. Diese sagt mir freundlich, dass sie sich direkt um die Ecke befindet, mit erschrecken festellend, dass hier ein Münzeinwurf angebracht ist, um hinein zu gelangen. Ich verdrücke es mir und gehe lieber in den Wald. Das spart sowieso Trinkwasser, was sonst in der Toilette literweise heruntergesprült wird.

Es ist halb 4 nachmittags und ich habe noch knapp drei Stunden, bevor es wieder dunkel wird. Schon in der zweiten Nacht habe ich das Glück gehabt, in starkem Nebel auf einem Berg im nirgendwo herumzuklettern. Da ich heute auf über 900 Meter will, könnte mich das gleiche Schicksal wieder ereilen. Ich will aber vorankommen und trenne mich von diesem Gedanken. Es wird bei meiner dritten Reise auf Mallorca auch die Erstbegehung werden. Beim ersten Mal kam ich von der anderen Seite, also von Osten, und bin ausversehen einen Trampelpfad entlang gelaufen, der mich an einem Wachhaus bei Valldemossa hinaus ließ. Hier wird statistisch kontrolliert, wieviele Wanderer am Tag auf dem Pfad entlang kommen und welcher Nationalität sie entsprechen. So war es zumindest vor zwei Jahren (2016). Beim zweiten Mal habe ich mit Sarah den Pfad, aufgrund von physischen Problemen, übersprungen. Wir nahmen den Bus von Valldemossa nach Deiá. Ich entschließe mich den langen Pfad zu wandern, weil er ersten offiziell ist und ich ihn noch nie gegangen bin. 

Anfangs gehe ich noch, innerhalb der Stadt, auf einem gut markierten Weg an der Straße entlang. Hier ist an jeder Laterne ein Aufkleber mit Rot-Weißer Farbe angebracht. Man kann sich also nicht verlaufen bzw. sieht, dass man richtig ist. Man gelangt auf einem Schotterweg, der sich, in die Berglandschaft hinein, öffnet. Ziemlich schnell wird es auch wieder ruhig. Ist es in Valldemossa noch halbwegs mit Engländern belebt gewesen, so umfasst mich hier wieder die perfekte Stille. Bis auf die kleinen Weh-Weh-chen fühle ich mich fit und motiviert. Das letzte Mal sah ich auf die Karte, um wieder vom Friedhof auf die Hauptstraße zu finden. Danach nahm ich Sie nicht mehr zur Hand und sah die Höhenlinien nicht, die mich auf bis über 900 Meter bringen sollen. Je enger die Höhenlinien á 50m liegen, umso steiler geht es im Terrain nach oben oder nach unten. Das merke ich sehr bald. Es schlängelt sich eine alte Straße den Berg herauf und ich mache sehr viele Verschnaufpausen von mehreren Sekunden. Der Wasserverbrauch steigt dramatisch an, aber ich habe meinen zwei Liter Vorrat in Valldemossa aufgefüllt. Kann also ausgiebig trinken, damit ich nicht dehydriere. Konzentrationsschwierigkeiten in den Bergen brauch kein Mensch und sei es auch "nur" Mallorca, so sind Berge nun mal Berge. Im Nebel erst recht. Nach knapp einer Stunde lege ich beachtliche 700-800 Höhenmeter zurück. Das ist nicht schlecht für meine Wanderverhältnisse. Ich habe auch den schwersten Teil der ganzen Route überwunden. Das Schwerste ist wirklich der harte Antieg auf asphaltiertem Weg. Eigentlich unlogisch, aber durch grobsteinigen Weg hat man hauptsächlich hauptsächlich mit dem Gleichgewicht zu tun. Auf einer Straße ist man allerdings damit beschäftigt, stumpf und ohne Hindernis, bergauf zu gehen. Wie so oft geht hinter mir im Westen die Sonne unter und zaubert wieder die prachtvollsten Farben an das Himmelsfirmament.

Ich habe einen unbequemen Hintergedanken im Kopf, denn auf Alpenquerung las ich, dass sich der Autor hier oben verlaufen hat und zwei Stunden mehr als geplant brauchte. Ich hoffe inständig, dass mir nicht das Gleiche widerfährt. Die Sicht wieder freier, laufe ich, so weit wie es geht, ohne Stirnlampe. Zwar liegen in meinem Deckelfach noch 2 Ersatzbatterien, aber die Energie will auch nicht sinnfrei verschwendet werden. Gerade dann, wenn es zu brenzligen Situationen kommen sollte. Andererseits mag es auch leichtsinnig erscheinen, auf Licht zu verzichten und im halbdunkeln auf grob, steinigen Pfaden entlang zu wandern. Dem entgegne ich aber mit der Trittsicherheit, die man sich in den Bergen und sonst wo im Laufe der Zeit angewöhnt. Erfahrung minimiert das Risiko, maximiert die Sicherheit und bei mir natürlich auch den Leichtsinn. Ich komme an eine Wegekreuzung. "Das ist bestimmt die Schlüsselstelle, wo sich der Typ verlaufen hat", so denke ich mir. Ich will Richtung Norden, also Richtung Meer, und da ist rechts hundertprozentig der falsche Weg. Der Wind ist mäßig bis stark, so dass ich keine Motivation habe, die Karte rauszuholen. Ich habe dann mehr eine Art Windsegel, als eine Orientierung. Selbstsicher wandere ich links weiter und sehe auch Steinmännchen (die sicherlich auch auf dem anderen Weg vorhanden sind). Nach ungefähr 20 Minuten, es ist 19:15 Uhr und dunkel, erreiche ich den vermeintlich ersten Gipfel, der für mich der Größte zu sein scheint. Ist es der Puig Gros? Möglich ist es. Wenn ich von diesem Berg hinunter schaue, sehe ich Valldemossa mit seinen Straßenlampen und erleuchteten Häusern. Hier oben befinde ich mich wieder in den Wolken oder Nebel. Ich habe heute noch keine Ahnung, was der Unterschied ist. Okay, Google sagt, dass es Nebel ist, wenn die Wassertröpfchen kleiner sind und um es dramatisch zu machen, bleiben wir dabei, dass ich mich direkt in den Wolken befinde. Auf dem vermeintlich höchsten Punkt, dem Puig Gros, gibt es natürlich, wie so oft, kein Schild, das darauf hinweist, dass es dieser Berg ist. Ich vertraue einfach darauf, mache ein paar unscharfe, aber atmosphärische Fotos und gehe den Weg weiter, welcher nun leicht hinab führt. Es macht sichtlich Spaß. Die Pfade sind, durch ihre gute Einsehbarkeit, selbst bei schlechter Sicht einfach zu wandern. Ich genieße es mit Kopflampe, Rucksack, warm angezogen & Alleine hier oben zu sein. Ob da unten wohl jemand sieht, wie ein einsamer Wanderer, da oben mit seiner Lampe, hin & her leuchtet?

Hier oben gleicht es einem Plateau. Keine scharfen Grate, an denen man entlang geht, sondern weich geschwungene Bergsattel. Im Dunkeln nicht wirklich zu sehen, ob man hoch oder runter geht, werde ich das Gefühl nicht los wieder höher zu gehen, obwohl ich eigentlich hinunter nach Deiá will. Mir kommt wieder der Verdacht am falschen Ort zu sein. Tatsächlich komme wieder auf ein Höhenniveau vom Puig Gros und darüber hinaus. 7 Meter befinde ich mich höher als an meinem, vermeintlich höchsten Punkt der Etappe. An einer Stelle (Stand Januar 2018) steht normalerweise ein Richtungsweiser mit angebrachten Schildern, die anzeigen, ob es nach Valldemossa oder Deiá geht. Da es zum Glück keine Kreuzung ist, gehe ich weiter. Jugendliche scheinen das Schild abgenommen zu haben. Ich sehe sowas des Öfteren. Entweder sind Wegweiser entfernt oder mit kommunistischem Hammer-Sichel-Zeichen besprüht worden. Da frage ich mich tatsächlich, ob die Wanderer die Richtigen sind, die sie als Klassenfeind bezichtigen.

Und es eskaliert wieder so schnell wie es im Lehrbuch steht. Anfangs läuft alles glatt und es gibt keinerlei Probleme mit der Wegesführung. Habe ich mich noch über den Autor von Alpenquerung lustig gemacht, wie man sich hier oben verlaufen kann, kommt das Karma back und ich sehe mich hier an an einem Punkt, der keiner Markierung oder Logik folgt. Sehe ich noch ein allerletztes Steinmännchen, kommt danach einfach gar nichts mehr. Es wird sogar noch schlimmer, abschüssiger und steiler. Ich versuche einen ausgetretenen Pfad zu finden. Zwar ist es hier zum Glück nicht mehr neblig und die Sicht ist wirklich so weit, dass ich (wie im oberen Bild zu sehen) Deiá sehen kann, aber ich bin meilenweit davon entfernt. Ich komme bis zu einer Klippe, die 150 Meter vor mir in die Dunkelheit fällt, ohne Hoffnung auf einem Pfad. Ich habe mir den Weg nach unten nicht wirklich eingeprägt, so dass ich zurück nach oben durch sperrige Dornenbüsche & hohes Gras laufe, die mir den Weg zurück erschweren. Bäume dienen mir als Orientierung, doch das Zeitempfinden ist gänzlich anders. In meiner Situation schlägt das Herz schneller und die Zeit verlängert sich gleichermaßen. Erfreulicherweise sehe ich im Lichtkegel der Stirnlampe ein Steinmännchen und ich gehe zielgerichtet darauf hin und finde wieder zum offiziellen Weg zurück. Ich gehe bis zu einem markanten Punkt, der eine besondere Farbmarkierung aufweist, aber er will mir partout nicht den Weg bergab zeigen. Ich bleibe stehen, um mich in Ruhe zu orientieren. Es kann nur hinunter gehen, aber nicht in Diese Richtung, nicht Diese da, die ich eben entlang gegangen bin. Ganz langsam schaue ich von links nach rechts und erkenne auf der linken Seite, an der Markierung, einen markanten Fels. Langsam schreite ich dorthin und stelle fest, dass dort ein Weg hinab führt. Im 180° Winkel, also in genau entgegengesetzter Richtung. Ich bin super froh und aufgeputscht von dem ganzen Stress habe ich 30 Minuten verloren, aber das ist mir in dem Moment egal. Das Wetter ist gut und der Wind ist kaum da, der Himmel sternenklar. Ich habe nichts zu befürchten gehabt, wenn ich hier oben feststecken sollte. Die richtige Ausrüstung habe ich ausreichend dabei. Der Plan ist es, nach Deiá hinunter zu laufen und vielleicht noch ein Stück weiter mein Lager aufzuschlagen. Soweit kommt es aber nicht, denn irgendwann finde ich, ein paar Höhenmeter und Serpentinen weiter unten, die perfekte Biwakstelle. So, wie es aussieht, bin ich auch nicht der Erste, der hier seine Nacht verbringen will. Komplett windgeschützt und halbwegs regengeschützt, durch den Überhang der Wand, bin ich theoretisch gut vor den Witterungsverhältnissen geschützt. Darüber hinaus ist die Stelle sehr breit und flach, ohne irgendwelche Steine, die das Liegen unbequem machen würden. Purer, weicher Boden mit etwas getrocknetem Gras darauf. Perfekt! Auf dem GR 221 kann man solch tolle Schlafstellen immer wieder finden. Mit halbwegs geschultem Auge erkennt man leicht, ausgetretene Pfade, die ein paar Meter weiter, abseits vom Pfad, zu einer Biwakstelle führen. 

Ich setze mich auf eine Sims in der Wand und hole meine letzte Bierdose vom Vorabend heraus, die noch als Proviant seit heute früh im Rucksack eingezwängt ist. Es gibt ein tolles, virales Internetvideo von einem Professor, der behauptet, dass, egal wieviel Zeit man im Leben für Sachen einplant, für ein Bier immer Platz ist. Das nehme ich mir natürlich zu Herzen. Es stellt sich heraus, dass die Entscheidung, das Bier mitzunehmen, die Beste des gesamten Tages ist. Dazu noch das letzte Stück Baguette und Aioli. Barfuß stelle ich die Füße sanft auf den Boden und spüre den kühlen Sand, die verwelkten Blätter und kleine, raue Holzstücken zwischen den Zehen. Ja, ich bin gerade im 7. Wanderhimmel. Bis auf ein paar einzelne Wolken, bleibt der Himmel die Nacht über klar und die Sterne sind überwältigend. Sonnen, Pulsare und das pure Nichts sind zu sehen. Die Beleuchtung von den umliegenden Dörfern wird von der Dunkelheit verschlungen. So lässt es sich hier perfekt aushalten. Ich checke den Boden auf eventuelle Ameisenvölker ab und sehe dabei einen Weberknecht entlang spazieren. Ich putze meine Zähne und ziehe mir frische Socken, eine Unterhose und den Merinopullover an. Gegen 22 Uhr geht es in den Schlafsack, der bis zu meiner Nase zugezogen wird und nicke dabei ein. Bis auf das ich einmal wach werde, schlafe ich bis 06:00 Uhr durch. 

 

Fazit für den Tag:  Wenn einem frühs ein Hahn auf die Toilette begleitet, bedeutet dies nicht, dass man den Rest des Tages Schwein hat. Darauf ein kühles Bier!

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