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Berlin - Kopenhagen / Kattegattleden


Einführung

Nach wochenlanger Planung, Wartung & technischen Upgrades meines Rades, fühlte ich mich technisch bereit, die rund 1.300 km durch Dänemark und Schweden zu vollenden. Schon im Juli bin ich unter der Woche mehrmals um die 100km am Tag gefahren. Meistens bei bestem Wetter. Das konnte ich mir auf dieser Tour natürlich nicht aussuchen. Dennoch hatte ich den Willen und vor allen Dingen den Spaß daran, diese für mich erste lange Tour zu machen. Die erste "große" Erfahrung, die ich letztes Jahr machen durfte, war die Spreewaldtour auf dem "Gurkenradweg", der um die 240km durch den Spreewald, umliegende Dörfer und Städte führt. In nur zwei Tagen hatte ich diesen Weg geschafft. Ich versuche, wie so oft, viel Zeit in der Natur zu verbingen, aber auch körperlich halbwegs an meine Grenzen zu gehen. Schweden hat neuerdings an der Westküste von Helsingborg bis Göteborg den Kattegattleden eröffnet. Eine durchgehend wundervolle Fahrradstrasse bzw. ein Fahrradwegenetz mit der Nummer "1" gekennzeichnet, welches sich zwischen den beiden Städten rund 370km von Süd nach Nord erstreckt. 

Tag 1

Montag, dem 07.08.2017, geht es für mich los. Früh Morgens um 04:00 Uhr klingelt der Handywecker. Keine Minute später stehe ich auf den Beinen, um mich in meine präpaprierten Fahrradklamotten rein zu schmeißen. Nach ungefähr 5-7 Versuchen meiner Freundin ein letztes Mal den letzten Kuss vor der Reise zu geben, öffne Ich die Tür zu meiner weiten Reise durch Skandinavien. 04:45 Uhr sitze ich auf meinem ÖKO-Ross und trete die ersten 190 Kilometer zur Ostseeküste kräftig in die Pedale. Das Wetter ist an diesem Tag gnädig und begrüßt mich mit wundervoll frischer Luft. Die Sonne geht auf und erwärmt meine Haut. Wundervoll! Das Fahrrad gibt bis dahin keinerlei Geräusche von sich. (Ich hasse knacken und knartzen am Rad!). Gegen Abend 18:00 Uhr komme ich bei meinen beiden Freunden in Waren (Müritz) an. Zur Begrüßung gibt es eine leckere Hot Dog Pizza. Ich schaffe leider nur ein Stück. Hört sich verwirrend an, weil man denkt: "Man der Kerl sollte doch nach 190km verdammten Hunger auf eine verdammt unitalienische Pizza haben!?!" Mein Problem ist, dass ich eher so halbe Sachen brauche mit Flüssigkeit und was festem, wie Milch mit Kakao oder einem tollem Wassereis. Ich kasche mir aus dem Kühlschrank 6 Wassereisstangen. Jeder kennt das gute Bussi-Bär-Eis mit Cola- und Kirschgeschmack! 

Tag 2

Es ist Dienstag früh um 06:00 und ich fahre eine Stunde später los. Erst kurz nach 24 Uhr eingeschlafen, will ich meinen Körper doch etwas schonen und nicht nur 4 Stunden geben. Bis Rostock, und damit zum Überseehafen, sind es knappe 110km und ich will die Fähre bis 13 Uhr bekommen. Die Kette ist noch am Vorabend gespannt worden. Zur Nebeninfo: Ich bin mit vollgespannter Kette von Berlin los gefahren. Diese hängt nach nur einen Tag herunter, wie das schütte Haar von D. Trump. Danke hier an Brandenburg, wie ihr die Autostraßen knapp einen Meter über das Wurzelwerk baut und die Radwege nur 10cm darüber. Folge waren herbe Risse auf den Wegen, wo man sich nicht mal traute mit 30km/h und mehr den Hügel abwärts zu fahren, ohne das einem das Fahrrad auseinander bricht. In Rostock angekommen, bekomme ich es mit dem Küstenwind zu tun, größtenteils auf den Ackerflächen. Der Wind aus Südwesten, drückt mich von hinten in Richtung Ostsee hinein. Ich komme 30 Minuten vor dem Ablegen an und erreiche die Fähre pünktlich. Soviel wie möglich zu fahen war meine Grundmotivation. Wenn man schon gutes Wetter hat, dann nutzt man das auch. Denn wer länger als 5 Tage mit dem Bike oder zu Fuß unterwegs ist, der weiß, dass das Wetter schnell umschlagen kann. Der Endgegner für mich war nicht der Regen, sondern Sturm von vorne. 

 

Der unsichtbare Feind, wie ich ihn gerne nenne.

Angekommen in Gedser werde ich mit reichlich vielen Dänemarkflaggen begrüßt. Die ganze Straße ist links und rechts damit geschmückt und ich finde das toll. Ich finde sowas auch in Schweden toll oder in Norwegen. Komischerweise in Deutschland nicht. Die nächste und letzte Station, die ich diesen Tag erreiche ist Nykøbing Falster, ungefähr 20km nördlich von Gedser. Viele Freunde fragten mich, ob ich Flickzeug dabei habe oder alternativ einen Fahrradschlauch. Ich, besserwisserisch und naiv wie ein 14- jähriger: "Nein, brauche ich nicht! Hatte noch nie einen Platten und ich habe Schwalbe Marathon PLUS Bereifung. Da passiert nix." Nachdem ich mir im Aldi vier Liter in die Camelbags nachgefüllt habe, setze ich mich auf mein Gefährt und merke diese gänzlich unvollkommene & unglatte Bewegung, wie sie sich Rhytmisch fortsetzt. Ich grinse schon bei dem Da-Passiert-Nix-Gedanken nicht Recht gehabt zu haben. Und so ist es! Hinten habe ich einen Platten. Ich frage an der Tankstelle nach, ob um 17:45 Uhr noch eine Werkstatt offen hat. Der Tankstellenwart meint, dass zu dieser Zeit kaum die Wahrscheinlichkeit bestehe, dass eine Werkstatt geöffnet sei. Immerhin gab es eine. Ich schiebe mein Rad bis dahin. 1,7km von der aktuellen Position entfernt & immer wieder zähneknirschend bei jeder Umdrehung des Hinterrades. Die Werkstatt hat in der Tat zu und meine Hoffnung auf schnelles Weiterkommen erlischt an diesem Tag. Ich brauche einen Schlapflatz. Mein Bike will ich hier so mit Gepäck nicht stehen lassen. Kommt gar nicht in Frage! Ich habe auch keinen Bock, das gesamte Gepäck 3-4km in die Pampa zu schleppen, nur um an einer unsinnigen Stelle mein Zelt aufzustellen. Ich google nach Hotels in der Nähe, die günstig sind. Mir schießt Norwegen in den Kopf. Von Hotelpreisen, die erst ab 120€ anfangen. Ich sehe mich mit goldlackierter Halskette die 5€-Scheine im Bündel gegen einen Ventilator werfen. Das günstigste was ich finde, ist das Hotel Falster für 110€, ungefähr 2,5 km von meinem Standort entfernt. Ich ärgere mich, dass es direkt in der City nichts gibt, aber jenes Ärgern dauerte nur einige Sekunden an, denn es hätte mich schlimmer treffen können. Einen Platten irgendwo zwischen Taiga und Wolga. Ich schiebe mein Rad quälend lange. Meter um Meter. Dabei löste sich der Schlauch aus dem Reifen und hängte sich abermals an den Bremsen auf, so dass das Rad blockiert und ich nicht weiter schieben kann. Hasserfüllt hole ich mein Walther Klappmesser aus der Tasche und schneide den Schlauch heraus (Diesen besitze ich übrigens immer noch). Ich machte es mir im Zimmer bequem, als ich dann endlich am Hotel ankam, duschte ersteinmal und kochte mir im Bad meine Trockennahrung auf. 2 Coke-Flaschen aus dem hauseigenen Automaten durften nicht fehlen. Gute Nacht und auf das es Morgen schnell bzw. überhaupt weiter ging.

Tag 3

Mittwoch, um Punkt 8 Uhr öffnet die Fahrradwerkstatt namens Vulkan Cykler. Ich bin 20 Minuten vorher da. Es liegt daran, dass es meine Tugend der Pünktlichkeit ist oder aber, dass es evtl. noch mehr Fahrer mit einer Panne gibt. Mit Glück bin ich dort der Erste & Einzige und darf mein Fahrrad tatsächlich nach einer Stunde abholen. Wenn ich so bedenke, dass ich hier in Berlin für neue Bremszüge 2 Tage warten kann. Alles in Allem kostet es mich nur 23€. Ich habe mit mehr gerechnet. Voll motiviert und mit einem Grinsen im Gesicht bedanke ich mich abermals bei dem Händler. Er grinst auch die ganze Zeit zurück. Man sieht mir die Erleichterung an. Mein heutiges Ziel, Kopenhagen, kann in Angriff genommen werden. Bis dahin liegt ein weiter Weg vor mir. Rund 130km auf wundervollen Radwegen. Ich fahre, will ich noch dazu sagen, mit einem TEASI Navigationssystem. Ich finde es einfach stressfreier, auch wenn man teilweise auf der Bundesstrasse fährt. Ich bin fortan begeistert von den Radnetzwerken in Dänemark. Es gibt eine Art Radbahnen (Pendant zur Autobahn), die sich irgendwo kreuzten und alleinig den Fahrradfahrern dienen. Ich fahre die meiste Zeit alleine durch die Gegend, ohne wirklich viele Radfahrer zu sehen. Rationell gesehen eher komisch für die Hochsommersaison, aber für mich sowas von schön durch die weite Agrarlandschaft Dänemarks zu fahren. Dänemark hat unbeschreiblich viel Agrarflächen mit Weizen- & Maisanbau. Da stellt sich die Frag: "Wo bitteschön soll ein Zelt in der "freien" Natur aufschlagen werden, wenn die Pflanzenstumpen mir durch das Zelt stechen? Wie soll man da in Ruhe schlafen?" Entlang der Küste wird es ab Køge immer schöner. Direkt am Meer entlang zu fahren und die eigentümlichen Häuser zu sehen, strahlen einen unbeschreiblichen Charme und ein Gefühl von Geborgenheit aus. Ich kann es nicht beschreiben, aber ich fühle mich hier pudelwohl. Ich will soviel erkunden, wie es nur geht. Gegen Abend komme ich in Kopenhagen an, zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres. Ein wundervolle Stadt, die man sich unbedingt auf die Liste schreiben möge. Es gibt dort  eigens angelegte Brücken für Radfahrer. Ich halte mich dort zwei Stunden auf, tanke meine Rationen & Wasser auf und fahre dann weiter nach Helsingor, um am nächsten Tag mit der Fähre nach Helsingborg überzusetzen, dem Startpunkt vom Kattegattleden (auch wenn es weiter südlich auch einen Startpunkt gibt, von Trelleborg). In nur drei Tagen bin ich mit ganz viel Glück & meinem Aldi City Bike in Kopenhagen angekommen. Nichts soll mich jetzt stoppen, denke ich mir. Wie Naiv!

Tag 4

Drei Kilometer vor der Fähre wache ich am Strand, an irgendeiner Parkanlage, auf. Ich habe die Nacht zuvor bis 23 Uhr mit Mühe und Not versucht was zu finden, aber im Schilf lässt sich schlecht ein Zelt aufbauen und in den privaten Vorgärten auch nicht, was n sich kein schlechter Platz wäre, aber eben doch nicht wirklich frei in der Natur. Wie ihr sehen könnt, ich hatte schon besseren Schlaf in meinem Leben. Die Tagestouren schleifen auch nach 6-7 Stunden Schlaf noch ganz schön. Die Klüsen angeschwollen, setze ich als erstes meine Sonnenbrille auf. Um frühs ins Meer zu gehen fehlt mir der Antrieb, auch wenn sich nebenan die älteren Herrschaften bis aufs letzte Hemd entblößen und sich ins kühle Frische wagen. Ich steige ich aufs Rad, nachdem ich alles zusammengepackt habe und fahre bis zur Fähre weiter, wo ich noch eine Stunde warte, um dann nach Helsingborg rüberzusetzen. Insgesamt fahre ich auf meiner Tour sehr oft mit der Fähre, was doch ganz schön auf die Reisekasse geht. Da 20€, hier 50€ und da mal wieder 40€. Das läppert sich, aber ist es andererseits auch wert. Es fällt mir nur so stark auf, weil ich eigentlich jeden Tag eine Fähre nehme, durch die großen Distanzen, die ich zurück lege. 

Donnerstag früh komme ich in Helsingborg an und suche wie ein bescheuerter den Anfang des Kattegattleden mit der Nummer 1. Ich überlege, ob ich einem anderen Schild folgen soll, um nach Lönneberga zu fahren. Eine innere Stimme sagt mir: "Michel!!!!!". Ich stoße irgendwann auf das erste Schild, was mich in eine Richtung des 1er und auf einem anderem Schild in die entgegengesetzte Richtung führt. Ich bin verwirrt. Irgendwie schaffe ich es dennoch aus Helsingborg heraus zu kommen. Schon geht es steil einen Berg hinauf und nach anfänglichen Orientierungsschwierigkeiten geht es endlich an der Küste entlang. Wunderschön! Der Himmel ist wolkenverhangen, aber umso besser. Ich benötige weniger Sonnencreme, die mir ansonsten aus meinem schweißgebadeten Gesicht in die Augen perlt und brennt. Ich folge dem Katte jeden offiziellen Meter der Tour. Zwei Mal komme ich auf der gesamten Tour ein paar Meter vom Weg ab. Ich merke es spätestens am Kreisverkehr, wenn ich das Schild nicht mehr sehe. Dafür gibt es das Navi. Ich weiß zu diesem Zeitpunkt nicht, ob ich die gesamte Katte-Strecke an zwei oder drei Tagen fahren soll. Ich bin kein Tour de France -Fahrer. Ich habe die Tour in zwei Tagen geschafft. Oookay. Die Route nimmt mich an den verträumten Küstenstädtchen mit, wo eine schöner als die andere ist. Angefangen bei Höganäs oder Halmstad, wundervolle Städte, genauso wie Stockholm (Link zum Blog) oder Göteborg. Ich mag den skandinavischen Charme der Städte sehr. Selbst wenn sie größer sind, herrscht hier noch eine gewisse Leichtigkeit (auch auf den Straßen). Hier in Berlin ist sich jeder selbst der Nächste und Rücksicht ist in den Jahren generell ein Fremdwort (geworden?). Egal, ob ich in Ängelholm, Halmstad oder Göteborg gefahren bin. Die verkehrstechnische Infrastruktur ist besser ausgebaut. Es gibt Fahrradstrassen, die auch wirklich Fahrradstrassen sind und nicht wie hier in Berlin, wo man zwei Mal darüber nachdenkt, was diese Schilder hier eigentlich zu suchen haben, wenn dort Autos entlang fahren. An diesem Tag schaffe ich es fast bis nach Falkenberg. Ich startete frühs um 07:00 und gucke jetzt auf die Uhr. Es ist schon nach Mitternacht. Zeit einen Zeltplatz zu finden. Hauptsache irgendwo am Meer.

 

Jeder von euch kennt es. Am Ende des Tages will man einen der besten Schlafplätze für sein Zelt finden. Frei in der Natur ohne Menschen. Nur allein mit den Elementen um sich herum. Oftmals gelingt das nicht so leicht. Entweder kommt man an den besten Spots vorbei, wenn es  Mittag ist oder man sieht im Dunkeln, zumindestens auf dem Fahrrad, einfach nichts mehr. Darum fahre ich einfach abseits des Kattes hinunter zum Meer und hoffe auf Gut Glück eine schöne Stelle zu finden. Ich habe tatsächlich das Glück. Hinter einem Zaun mit Gatter geht es hinunter zum Meer. Traumhaft! Die Dämmerung setzt ein und ich will schnell alles aufbauen. Das Meer ruft nach mir! Es will den ganzen Schweiß, die Sonnencreme und das Mückenspray in Kombination abbekommen, damit ich mich nicht wie eine Nacktschnecke im Schlafsack winde. Ich springe in die kalten Wellen und fühle mich wie ein neuer Mensch. Danach trage ich eine Salzkruste auf der Haut. Lieber salzig als fettig. Ich lege mich in den Schlafsack. Die Nacht ist sternenklar und dennoch wird das Überzelt von mir angebracht, weil der Wind zu stark weht. 

Tag 5

Es ist Freitag und heute Nacht sollen die Perseiden mit voller Wucht die Erde treffen. Ich hoffe, dass sich das bewahrheitet und die Nacht sternenklar wird. Der Mond scheint in seiner vollen Pracht, ist aber am abnehmen. Bis nach Göteborg sind es nur noch 190 Kilometer. Noch fix das Wasser für den Tee aufkochen und das Müsli genüsslich beim Sonnenaufgang essen. Was fühle ich mich gut! Seit der Panne mit dem Schlauch, habe ich keinerlei Probleme mehr. Die Pedale sind leicht am knartzen, aber das hatte ich schon mal und bin mir bis heute nicht sicher, ob es das Tretlager ist, da das Geräusch ab und an weg ist. (Stand März 2018: Es war das Tretlager, was jetzt ausgetauscht ist). Ich schiebe meine sieben Sachen den Hügel hoch und setze meine Reise fort. Ich merke immer mehr, dass die Schweden extreme Golf-Fans sind. Rund um Hamstad oder Göteborg befinden sich riesen Areale von Golfplätzen, dass man aufpassen möge nicht auf einem zu zelten, auch wenn der perfekt gepflegte Rasen ideal wäre. Was mir noch auffällt; sowohl die Dänen als auch die Schweden mögen es ihr heiliges Grün zu mähen. Egal an wievielen Grundstücken ich vorbei kam. Auf jedem Kilometer Radweg kommen mindestens ein Rasenmähertrecker/Rasenmäher. In den reichen Gegenden, die oft an der Küste vertreten sind, gibt es dann auch mal GPS gesteuerte Rasenmäherroboter, die Tag & Nachts ihre Arbeit verrichten. Für mich gibt es teils unsinnige Bilder wie Wohnwagenplätze, die direkt an der Straße oder auf einem großen Stellparkplatz am Hafen liegen. In Reih & Glied mit 40 weiteren Wohnwagen auf engstem Raum zu stehen und die Freiheit des campens zu genießen, kommt mir seltsam vor. Noch eine Eigentümlichkeit, besonders bei den Schweden: Sie lieben alte Autos. Sie lieben alte, amerikanische Autos. Ich sehe Ford Mustang, Chevrolets, Pickup-Trucks oder Dodges wie in meinem ganzen Leben nicht. Auch Autos aus den 50er bis 70er Jahren sind total im Trend. Und dann diese typisch schwedischen Holzhäuser, mit Rosen bewachsen und den Gartenzäunen, dessen Zaunlatten aus Holz nicht wie bei uns in Deutschland lotgerecht ausgerichtet werden, sondern im 45° Winkel. Sehr stylish! 

Bis nach Göteborg schaffe ich es an diesem Tag nicht. Gegen Mitternacht bin ich einfach nur noch Müde. Bis zum Ende des Kattegattleden sind es nur noch 35km. Ich suche mir einen Schlafplatz und werde schnell fündig. Wieder am Wasser, wenngleich auch nicht unweit des Radweges. Nachts passiert dort sowieso nicht viel, denke ich. Stattdessen fällt mir mit der Zeit auf, wie aktiv die jüngere Generation von 16-25 Jahren in der Nacht ist. Ich kenne es aus meinen Zeiten, aber unter der Woche? Vielleicht sind Ferien. Es sind auf jeden Fall viele partywütige Leute auf den Straßen oder am Strand. Das stört mich nicht weiter. Die Nacht sieht vielversprechend aus. Zwar nicht sternklar, aber nach Regen sieht es nicht aus. Als ich einschlafe, wache ich kurz gegen 02 Uhr nachts auf. Irgendwas feuchtes berührt in unregelmäßigen Abständen meine Wangen. Oh mein Gott, es regnet! Ich habe nur das Innenzelt aufgestellt, denn nach Wetterbericht soll es nicht regnen. Ich, aus dem Tiefschlaf gerissen, torkle draußen auf den Felsen umher, um das Außenzelt zu befestigen. Immer wieder das Gleichgewicht verlierend. Ich fühle mich wie betrunken. Anstatt des Kometenschauers trifft mich ein gewöhnlicher Schauer aus Wasser. Als ich alles fertig aufgebaut & die Fahrradtaschen mit Regenschutz überzogen habe, gehe ich in mein Zelt und schlafe auch sofort wieder ein, um dann gegen 08:00 aufzuwachen. Ein neuer Tag zum radeln!

Tag 6

Nach zwei Stunden komme ich in Göteborg an. Ich fahre natürlich nicht mit der nächstbesten Fähre nach Frederikshavn, sondern begebe mich direkt ins Herz der zweitgrößten Stadt Schwedens, die auch in Sachen Schönheit Stockholms in nichts nachsteht. Ich fahre direkt zum Stadion des IFK Göteborg oder ins Zentrum der Stadt, wo noch alte Straßenbahnen meine Wege kreuzen. Ich genieße die Fahrt durch die Stadt und fahre frei nach Schnauze, ohne ein gewisses Ziel zu haben. Es fährt sich viel entspannter. Nach drei Stunden Göteborg fahre ich zum Fährterminal und stelle mit bedauern fest, dass das nächste Boarding erst wieder 14 Uhr beginnt. Ich habe noch 40 Minuten, bis ich in das Terminal reingelassen werden. Ab auf die Bank, in der Sonne chillen. Dann öffnen sich die Pforten und ich gelange bis ganz nach vorne ohne zu wissen, dass ich hier noch satte 1 1/2 Stunden stehe und mir spürbar den Hintern abfriere. Trotz Windbreaker-Jacke und Merinowolle-Pullover. Ich habe noch immer die kurze Gelpolsterhose an. Den Wetterbericht checkend sehe ich, dass es anfangen soll zu regnen. Das erste Mal seit Beginn der Tour, ausgenommen die letzte Nacht. Ich präpariere mein Fahrrad. Wie es sich mit viel Glück herausstellt, regnet es sich auf der gesamten Fahrt Richtung Dänemark ab und als ich nach drei Stunden Überfahrt ankomme, fiel kein einziger Tropfen mehr vom Himmel. Doch vor mir wird es nach 20 km Fahrt ziemlich dunkel und es regnet ganz plötzlich in Strömen. Ich ziehe meine Regenhose und -jacke an und schwinge mich wieder auf das Fahrrad. Ich weiß nicht, wo dann mehr Wasser hinunter fließt. Unter der Jacke bzw. Hose oder darüber? Ich schwitze extrem wegen des atmungsinaktiven Stoffes. Der Regen hält zum Glück nicht lange an und beschert mir einen wundervollen, atemberaubenden Sonnenuntergang. Ich finde eine Stelle wo ich schlafen könnte, sprühe mich schon mit Mückenspray ein, doch eigentlich bin ich nicht ausgepowert. Ein paar Kilometer gehen noch und ich fahre weiter, bis ich mich schließlich auf dem Ostküstenweg Dänemarks befinde. Von hier ist es kein Kilometer bis zum Meer. Schließlich lande ich am Voerså Havn und finde den perfekten Platz zum zelten. Gefühlte fünf Zentimeter über dem Meer befindet sich eine kleine, kreisförmige Fläche auf der ich mein Zelt aufstelle. Ich mache mir Gedanken, ob es hier die Gezeiten gibt. Ich google nach und für mich steht fest: Nein, scheint es hier nicht zu geben. Ich werde nachts eines besseren belehrt, denn als ich mich Schlafsackfertig gemacht habe und mich schlafen lege, wache ich Nachts um 03:00 auf. Der Mond scheint in mein Zelt und ich kann die kleinen Wellen nicht mehr sehen, die vorher sanft neben meinem Zelt brachen. Alles ist zum Glück trocken. Das Meer hat sich in der Zeit in der ich schlief um 30-50 Meter zurück gezogen. Ich ziehe sofort meine Sachen an und mache Bilder und erfreue mich des Lebens, sowas hier auf meiner Tour erleben zu dürfen. Dieser Zeltplatz ist perfekt. Es ist um 04:00 und ich krieche wieder in mein Zelt zurück. Nach meinen tollen Schätzungen sollte das Wasser in den nächsten Stunden nicht mehr allzu nah an meinen sicheren Schlafplatz heran kommen. So bleibt es auch dabei und der neue Tag bricht heran.

Tag 7

Es ist Sonntag. In Deutschland haben alle christlichen Geschäfte zu. Nicht so in Dänemark, wo Sie jeden Tag von 08 bis 21 Uhr geöffnet haben (die armen Angestellten). Heute will ich nach Aarhus, der europäischen Kulturhauptstadt 2017! Ich las davon im NORR-Magazin und nehme mir die Gelegenheit, um die Kulturhauptstadt zu besuchen. Ein weiterer Grund nach Aarhus weiter zu reisen ist jener, weil dort die nächste Fähre nach Odde geht. Von Odde selbst, sind es dann nur noch 190km bis nach Gedser. Ich will auf keinen Fall in der Stadt umherhetzen, um dann gerade so die letzte Fähre zu bekommen. Nein! Ich gönne mir eine Nacht im Hallo Hostel für nur 32€. Es ist zwar ein Mehrbettenraum mit getrennten Kammern á 2 Doppelstockbetten, aber jedes dieser Betten hatt einen Vorhang und man bleibt weitesgehend ungestört. Mir wird nach der Nacht zwei Mal erzählt, dass die Matratzen aus 5-Sterne Hotels stammen bzw. dafür konzipiert sind. Sie haben die Matratzen aber weitaus günstiger erhalten. Dementsprechend wie in einer Wolke liegend, kann ich mich aus dem Bett kaum aufragen, um aufzustehen. Das hinlegen fällt mir umso leichter. Ein Bett gebucht und innerhalb von sechs Stunden in Aarhus gelandet. Es ist jetzt 18 Uhr und ich habe noch einige Stunden im besten Licht für Fotografen, um die Stadt zu erkunden. Nebenbei gesagt, hat die letzte Strecke etwas ungemütliche Passagen. Ich fahre die letzten 30km nur auf der Bundesstrasse (Navi hatte den einfachsten Weg genommen) und habe mit starken Seitenwinden bzw. -böen zu tun. Das ist nicht sehr schön, wenn man von Autos geschnitten wird. Arschbacken zusammenkneifen und man übersteht auch das. Nach dem letzten & steilen 60-Meter-Anstieg, kurz vor dem Ziel, kam demensprechend eine tolle Abfahrt mit 45 km/h. Ich sag euch Leute. Das macht so dermaßen Spaß! Die höchste Geschwindigkeit, die ich mit meinem Rad erzielte (Bergabwärts) lag bei 58 km/h. Ich habe da ordentlich rotiert im 7 Gang.

Das Hallo-Hostel ist direkt 200m vom Zentrum entfernt. Für knapp mehr als 30€ kann man sich dahingehend nicht beklagen. Ich schließe mein Fahrrad im Keller ab, nehme meinen Rucksack mit dem Nötigsten mit und gehe raus in die Stadt. Ich vergleiche Aarhus sofort mit Hamburg, denn genauso wie Hamburg hat Aarhus eine Art Speicherstadt, also nicht wirklich mit einem Speicher, aber vom Feeling her. Seht es dann mit eigenen Augen, wenn ihr dort euren Urlaub verbringt. Ich gehe durch die kleinsten Gassen, wo das letzte Sonnenlicht hindurch bricht. Die Luft ist angenehm warm und es weht kein Wind mehr. Durch die Straßen schlendern, einfach auch mal die Seele baumeln lassen und herunterkommen. Nach 2-3 stündiger Tour gehe ich glücklich zu meinem Refugium zurück, lese noch ein Buch, esse M&Ms (die Blauen), nehme einen Schluck aus meinem schottischen Flachmann, der mit Laphroaig gefüllt ist und schlafe wie ein Baby ein. 

Tag 8

Nach der warmen Dusche am gestrigen Abend, wache ich frühs auf und gehe eine halbe Stunde später in die Stadt. Meine Fähre fährt gegen 13 Uhr und ich habe noch reichlich Zeit an der Promenade lang zu gehen. Gelegentlich erwische ich mich dabei, wie ich Fotos von völlig sinnfreien Motiven mache. Ich decke mich im Aldi mit Iced Coffee, Kuchengebäck und den Fertigpizzen aus dem Brötchenregal ein. Die werde ich an dem Tag auch brauchen, denn von Sjaellands Odde bis nach Gedser sind es 190km. Ich wollte die Tour aber nicht an einem Tag machen. Ich bin gerade so entspannt, dass ich mich nicht so verausgaben möchte. In Sjaellands Odde angekommen, fahre ich von Odde südwärts. Der Tag im Bett und die wenigen Kilometer am Vortag haben meine Beine etwas regenerieren lassen und ich voller Kraft, dass ich die 20m Hügel im 6 Gang mit 30 km/h hochbretter. Ich habe noch 20kg Gepäck als Gepäck, was nicht vergessen werden sollte. Mein Navi meint auf einmal, dass nur noch 20% an Batterie vorhanden sind, obwohl es die gesamte Zeit über das AppCON GT#1 geladen wurde. Zu meinem erschrecken stelle ich nach einigen Metern fest, dass auf dem Display nur noch 2 Linien zu sehen sind und das Ding komplett aus ist. Ich versuche es anzumachen, doch vergebens. Das Navi scheint dieses mal wirklich kaputt zu sein. Das gute TEASI. Oh NÖ! Ich verbinde das Appcon mit meinem Smartphone. Die Reise kann weiter gehen, denn mein Smartphone wird geladen. An diesem Tag fahre ich durch die ganze Prärie des Sjaellands Dänemarks. Links und Rechts von mir Bauernhöfe und Getreideanbaufelder, wo das Auge hinschaut. Überall sind New Holland und John Deere im Einsatz, um die Felder zu bewirtschaften. Ich fühle mich in die Südstaaten der U.S.A versetzt, wo die großen Ranches sind und sonst nichts. Ich war nie in Nordamerika, um das gleich klarzustellen, aber aus Filmen & Erzählungen her, habe ich dieses spezielle Bild entwickelt. Ich habe abends Probleme mit der Suche eines Schlafplatzes. Die Fahrradlampe ist schon seit 2 Stunden in Betrieb. Außer etwas Kakaomilch, trinkbaren Yoghurt mit Proteinen, M&M's und einem Summersby, habe ich nichts wertvolles zu essen. Trockennahrung habe ich reichlich bei, ist aber zu schwer für den Magen und das kochen dauert. Es ist 22:30 und ich bin einfach kaputt und müde nach nur 130km Fahrradtour. Ich finde irgendwo eine Wiese beim Eingang eines Betriebes und lasse mich dort nieder. Der Himmel ist wolkenfrei und ich schaue noch 20-30 Minuten in den Himmel, telefoniere mit meiner Geliebten und trinke ein kühles Summersby aus der Dose. Ich gleite in den Schlaf ohne zwischendurch aufzuwachen.

Tag 9

Heute geht alles Schlag auf Schlag. Ich fahre die letzten 65km bis nach Gedser. Die Fähre zurück nach Rostock fährt um 13:15 Uhr ab und es ist halb 8, als ich aufbreche. Es wird eng. Ich fühle mich heute das erste Mal etwas kraftlos, rede mir aber ein, dass das ein normaler Zustand sei. Wir kennen es doch alle. Du sitzt im Auto und musst unbedingt auf Toilette. Es sind noch 5km. Es ist auszuhalten, selbst 2km geht das alles noch. Die Blase drückt, aber der Wille und die physischen Kräfte sind stark. Doch wehe, man hat die letzten 20m bis zur Toilette zu bewältigen. Der Körper stellt sich auf die Erleichterung bzw. das Ende ein. Genau so trägt es sich auch teilweise bei Rettungen in den Bergen zu. Der Verletzte hat mehr Reserven als er denkt, selbst wenn er schwer verletzt ist. Kommt der Rettungstrupp, fährt der Körper auf einmal herunter, da er sich in Sicherheit wiegt. Hier beginnt es krtisch zu werden. Oft sterben die Verletzten dann weg, wenn sie an sich nichts mehr zu befürchten haben. Das ist jetzt natürlich ein drastisches Beispiel, aber zur Veranschaulichung meiner Situation finde ich es grandios. Nur noch 60km von insgesamt 1300km ist das Ende der Tour. Ich will auch kopfmäßig nicht mehr so recht. Viel schlimmer als das ist aber, dass der Wind, der schon die ganze Zeit von Süden kommt, seit dem Beginn der Tour nicht mehr gedreht hat. Ich habe mit ständigen Gegenwind mit mehr als 40 km/h aus dem Süden zu tun . Ich will fluchend und weinend zugleich vom Fahrrad absteigen. Kein Bock mehr!! Man könnte auch von dem 4. in den 3. oder sogar 2. Gang schalten. Aber was bringt es mir? Die Tretfrequenz und die konditionelle Belastung erhöhen sich. Ich komme zudem nicht schneller voran. Ich hasse den Wind (wenn er einen von vorne drangsaliert). Auf den letzten 10km funktioniere ich nur noch. Noch 5km, dann 2km. Okay. Nur noch 950m. Ich bin wieder da, wo ich in Dänemark gestartet bin. Ich rede mir ein, dass ich eine wundervolle Zeit habe und nicht an die letzten 3-4 Stunden zurück denke, wo der Sturm auf mich einschlägt. In Gedser hole ich mir zwei warme Kakao mit Milch aus einem Automaten und einen Twix. Mir geht es sofort besser! Die Fähre kommt und bringt mich nach Good Old Germany zurück. Ich nehme den nächstbesten Zug Richtung Berlin. Da habe ich Zeit zum reflektieren und ausruhen. Denn diese RUHE, brauche ich. In Berlin herrscht wider meines Willens das extreme Chaos. Die Straßen sind gegen 17-18 Uhr so dermaßen mit Fußgängern, Autos und Radfahrern vollgestopft (auf einem Dienstag!), dass ich ehrlich denke: "Okay, hier erwischt es mich jetzt doch noch. Auf den letzten 7km nach Hause. Super. Ich Liebe Dich. Berlin!" - Ich komme heile und unversehrt in unserem zu Hause an. Das erste was ich tat, war zum REWE zu fahren und mir Entrecote für den Grill zu holen. Dazu frischer Tomatensalat und ein tolles, kaltes Summersby! Ein Stück Skandinavien.

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