Prolog
Ich habe hier schon mal einen Beitrag zu Witali Bytschkows Reise durch Europa geschrieben. Damals war er mit seiner Freundin gut 2600 km durch Norwegen (Olavsweg), Frankreich, Spaniens Nordküste & Portugal gewandert. Ich bin noch immer begeistert von diesen Vortrag. Hat es doch immer was gutes, wenn man eine Reise aus verschiedenen Perspektiven erzählt bekommt.
Zu Witali selbst: Ein von Grund auf sympathischer Typ hatte seit Beginn seiner Karriere einige Start-Ups gegründet, von denen er anscheinend alle, bis auf sein Jetziges, gegen die Wand gefahren hat. Er will beim wandern zu sich finden und die Erleuchtung darin finden, wie es für ihn, im wahrsten Sinne des Wortes, weitergeht.
Das Kino und Wir haben eines Gemeinsam: Komplett Gefüllt
Der Saal im Kino BABYLON ist komplett ausverkauft und es dauert bei 15 Leuten vor mir eine halbe Ewigkeit, bis ich mein kühles Blondes an einer der beiden Bartheken im Eingangsbereich bekomme. Vorher waren Sarah und Ich noch Vietnamesisch essen und das war auch gut so, denn der Abend sollte mit knapp 3 Stunden Vortragslänge verdammt lange werden.
Energie & Lethargie
In dem Moment als das Licht ausgeht, fängt seine Vorstellung, ich meine sein Vortrag an. Eingeleitet wird dies mit einer Standing Ovation. Wir wurden von Witali aufgefordert uns von den Plätzen zu erheben. Danach stellt er uns die Frage was unser weiteste Wanderung an einem Stück war. Ungefähr die Hälfte der Zuschauer (aus Berlin) setzt sich bereits ab 50 Km hin. Sarah setzt sich bei Kilometer 120 (Kungsleden) und ich mich bei 150 Km (Mallorca). Die Schritte werden immer größer und enden bei knapp 1000 Kilometern und 4 letzten Zuschauern. Ein cooles Intro wie ich finde, um zu sehen, wie sich andere mit seinen Erfahrungen verbinden können.
Dann kommt ein extrem lang gezogenes Intro in Form eines Videos, was die Erde gefühlt 5 Minuten beim Drehen zeigt. Schon nach der Hälfte des Videos schämen Sarah und Ich mich fremd, weil es doch zu pseudo-freiheitsmäßig daher kommt, zumal das Video komplett umkommentiert abläuft.
Witali erzählt in der ersten Hälfte von knapp 90 Minuten über die erste Tour von 2.600 Km mit seiner Freundin, was ich persönlich nicht schlimm finde. Sarah kennt es sowieso noch nicht und ich höre mir das Ganze gerne noch mal an.
Urlaub: Subventioniert vom eigenem Start-Up
Für mich ein ausschlaggebender Kritikpunkt, wenn ich immer Vortragende höre, wie sie super günstig durch die Welt reisen: Witali hatte sich von seiner Arbeit nochmals freigenommen, weil er denkt, dass seine Leute das sowieso ohne ihn schaukeln werden. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass er die Gunst der Stunde nutzte, als der Laden lief, damit er weiter ein (natürlich vermindertes) Gehalt bekommt und zusätzlich keine laufenden Kosten wie Krankenversicherung bezahlen muss. Eine KV zu haben, ist kein günstiger Posten auf der Kostenliste, den man mit sich rumschleppt, wenn man kein Einkommen hat und einfach mal so frei machen will. (Wer es besser weiß, bitte kommentieren).
Der planlose Chef ohne Skrupel?
Hier wird mir irgendwie bewusst, was anfangs noch Neuland für ihn und seiner Freundin war, ist jetzt irgendwie dem Geist gewichen, nicht zu wissen, was er mit seinem Leben anfangen soll. Sicherlich ist eine grobe Unterstellung und natürlich eine subjektive Meinung, weil ich ihn ja persönlich nicht kenne. Wenn man aus meiner Sicht die Faktoren zusammen nimmt, dass er nach den Reisen noch immer nicht wusste: "Wie geht es mir mit weiter!??", dann stelle ich mir schon die Frage, was will er uns jetzt damit sagen, dass er 4.300 Km durch die Pampa gestiefelt ist und dem Ganzen keinen selbst-reflektierten Sinn gibt. Sicherlich gibt es keine Formel, die besagt, dass man nach 6 Monaten wandern weiß, was man im Leben eigentlich will. Doch im Gegensatz zu ihm, habe seine Firmengründer und Kollegen jeden Tag geschuftet (für ihn mit) und haben Witali, als er an einem Stichtag zurück in Köln war, nicht mal feierlich begrüßt. In seinen Augen sicherlich eine Frechheit, was man ihm beim reden anmerkt, denn er verkneift sich noch mehr dazu anzumerken. Doch hätte er lieber eine Feier für sie schmeißen sollen, als andersrum. Ein leicht egozentrisches Bild, was er da mit dieser Situation offenbart.
Wir haben heute leider keine Torte für dich
Entweder hatte er sich nicht angekündigt oder den Kollegen*innen war es im Grunde egal, dass Witali wieder da ist, weil er für die Firma keine tragende Rolle zu spielen scheint, was Witali, mit einem zwinkerndem Auge, ja selbst von sich behauptet. Wenn bei mir der/die Chef/in aus dem bezahlten Urlaub wieder kommen würde und erwartet, dass ich für ihn/sie eine Torte backe oder Feier schmeiße, dann läuft irgendwas falsch. Maximal dann, wenn man seine/ihre Qualifikationen im Unternehmen dringend benötigt würden. Dann kann meine eine Feier schmeißen. Das hatte schon ein kleines Geschmäckle von Arroganz und falscher Selbstwahrnehmung, als er das erzählte. Auch für mich als komplett Selbstständigen, der zusieht, wie er mit dem Geld klar kommt.
Fast Trekking
Das alles wäre im Ansatz nicht mal so schlimm, wenn er wenigstens von den Ländern und deren Kulturen bei seiner Solo-Tour berichten könnte. Man hat rein gar nichts mitnehmen (können). Ich sage bewusst können, da er in Dänemark angekommen ist, aber irgendwie dann doch schnell sein musste, um im hohen Norden Deutschlands auf einer Hochzeit dabei zu sein. Mal eben schnell was über Kopenhagen erzählen und dann war er auch schon in Deutschland.
Germany in a Nutshell
In Deutschland ging seine Wanderung weiter und er redete viel davon, wie toll Deutschland eigentlich sei, zählt dabei 3-5 Städte auf und das war es. Er hatte ein paar Gespräche mit Deutschen und die seien ja ganz anders, als man es so kennt. Freundlich und Weltoffen sozusagen. Wie kann man durch Deutschland laufen und so wenig von den ganzen Menschen mitbekommen, obwohl man der Sprache ja sicher ist. Ein weiteres Unding für mich.
Und gestehen wir uns mal ein. Ein Handwerker, der jahrelang auf der Walz ist, könnte so viel mehr Geschichten erzählen, als die ganzen Pseudo-Abenteurer/innen, die nichts mit ihrem Leben anfangen können und uns inflationär Worte wie Freiheit & Abenteuern um die Ohren hauen. Immer, wenn ich auf einen Wandergesellen treffe, ziehe ich meinen Hut und zolle, meist ihm, mit einem Lächeln und Kopfnicken Respekt.
Alleine oder Einsam?
Es ist sicherlich schwer alleine zu reisen, doch man findet Anschluss, wenn man will. Und selbst wenn man keinen Anschluss finden will, so genießt man die Ruhe um sich herum und in sich selbst, abgekoppelt vom stressgeplagten Alltag. Witali erweckte in mir jedoch den Eindruck, dass es für ihn nur ein Teil seiner To-Do-Liste war, die Strecke komplett durch zu laufen. Sozusagen ein Lückenfüller fürs Leben. Das ist sicherlich nicht verwerflich und auch aus sportlicher Sicht sinnvoll keine Gaps zwischen Startpunkt und Ziel zu lassen.
Schlussendlich ergibt sich mir einfach nicht der Sinn dahinter, einen weiteren Vortrag darüber zu halten. So sitzt man 3 Stunden im Saal mit der Erkenntnis, dass es einen weiteren Geist auf diesem, vom Konsum regierten, Kontinent gibt, der sich irgendwie durch das Leben boxt, ohne letztlich zu wissen, was er überhaupt von sich selbst will, sowie wahrscheinlich 80% des Publikums.
Fazit
Nun hört sich der Beitrag alles andere als freundlich und einladend an, was wohl daran liegt, dass ich einfach enttäuscht bin. Ich habe die Leidenschaft vermisst, die das Reisen ausmacht und mich in ihren Bann zieht. Ich wollte nicht hören, wie man am Tag so und soviel Kilometer von A nach B schafft.
Alles in allem ist der Vortrag sicherlich für die interessant, die den vorher gegangenen nicht kennen. Man merkt dem Vortragenden Witali an, dass er aus seinen alten Vorträgen gelernt hat bzw. Routine bekommen hat, was sich in seiner Vortragsweise äußert, die sehr besonnen, ruhig, und doch zu platonisch, zu oberflächlich und pseudo-mäßig daher kam, um es der Masse irgendwie recht zu machen. Es mag an der Location und den vielen Menschen gelegen haben, dass mir der Vortrag einfach zu langatmig und auf vielen Strecken zu nichtssagend war. Sarah und Ich sind mit einem enttäuschtem Gefühl nach Hause gegangen. Zum Schluss hatte auch niemand mehr Lust auf eine Standing Ovation.
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