Tour de Force

Eines vorweg: Ich bin wahrscheinlich ein ganz normaler Outdoor-Typ wie du es bist, der weder ultrasportlich, noch durchtrainiert ist. Mein Fahrrad besteht nicht aus Carbon und ist auch kein Rennrad. Mit 14kg ist das Gefährt aus der Chemnitzer Fahrradmanufaktur in meinen Augen der schönste Ballast, den man sich wünschen kann. #diamant247

LMGIFM - Let me Google it for me

Berlin. Es ist ein lauer Sommerabend in der impulsiven Hauptstadt. Die einsamen Gesänge einer Amsel durchdrängen die Stille und verdrängen gleichermaßen den lauten und schrillen Berliner Alltag. Seit Tagen hält sich eine Großwetterlage über das Berliner Umland. Von Wind ist kaum etwas zu spüren. Als Radfahrenden wie mich sind das die perfekten Bedingungen für die Planung einer größeren Tour für das kommende Wochenende. Immer wieder checke ich die Wetter-App auf Wetter und Windströmungen für die besagten zwei Freitage - es sieht mehr als gut aus! 

 

Nach einem anstrengenden Home-Office-Tag schaue ich mit zusammen gekniffenen Augen auf den Computerbildschirm und durchforste hoch motiviert das Internet nach Fernradwegen in der Umgebung. Dabei lege ich die Priorität auf die Erreichbarkeit des Startpunktes und suche nach umliegenden Bahnhöfen. Schnell werde ich fündig und stelle mir gleichermaßen verdutzt die Frage, warum ich nicht schon eher darauf gekommen bin. Seit 5 Jahren lebe ich nun schon in Berlin, wo die Spree tagein tagaus hindurchfließt und mir nie die Frage aufkam, wo sie ihre Quelle hat. Die Antwort werde ich am Wochenende herausfinden und ihren wundervollen Lauf durch Sachsen, Brandenburg und Berlin nach radeln. Das nächste Abenteuer heißt: Fernradeln auf dem Spreeradweg.

 

WissenToGo: Spreeradweg

Mit einer Gesamtlänge von rund 400 km soll der Spreeradweg einer der schönsten und abwechslungsreichsten Radwege im Osten Deutschlands sein. Er folgt dem Verlauf der Spree von seiner Quelle bei Neugersdorf bis nach Berlin durch das Lausitzer Seenland und den allseits bekannten Spreewald mit der Gurke. 

 

Grenzwertig von Beginn an - Zänk Ju pfohr tschusing Deutsche Bahn

Meine Tour beginnt am Freitag vom Berliner Bahnhof Ostkreuz. Die Buchungen haben soweit problemlos funktioniert. Mit meinem bepackten Diamant-Fahrrad im Gespannt geht es mit dem Fahrstuhl abwärts zum Gleis. Es ist kurz vor 16 Uhr und mir meine Vermutung sollte sich bewahrheiten, dass freitags aufgrund des Wochenendverkehrs viel los ist. Die erste Regionalbahn in Richtung Frankfurt/Oder fährt in den Bahnhof ein. Eine große Menge an Menschen wartet bereits ungeduldig vor den Zügen - wollen doch alle schnellstmöglich ins Wochenende. 

 

Mittendrin eine Familie - Mutter, Vater mit Tochter und Tochter im Einschulungsalter. Alle haben ein Fahrrad und nur der Vater mit großem Lastenrad. Die Tragödie nimmt ihren Lauf, als die Mutter mit der einen Tochter es noch rechtzeitig in den Zug schafft, wobei der Vater mit der anderen Tochter noch immer versucht einen Platz zu finden. Die Türen schließen sich und die Tochter schreit nach ihrer Mutter, während der Vater versucht mit der einen Hand das Lastenrad zu manövrieren und mit großer, vorgebeugter Streckung im allerletzten Moment die Waggontür zu öffnen, um sich mit dem Kind reinzuquetschen. Happy End? In meinen Augen der tägliche Wahnsinn zum Wochenende, wenn es um die Fahrt mit der Bahn geht - besonders bei so gutem Wetter.

 

Nun bin ich mit vielen anderen Reisenden an der Reihe. Der Zug nach Cottbus fährt pünktlich ein. Das vordere Abteil saust gemächlich an mir vorbei und ich erspähe nur einige Radfahrende in diesem Abteil. Der Zug bleibt mit dem letzten Waggon vor mir stehen. Kaum öffnen sich die Türen, kommt die Schaffnerin entgegen und meint zu allen Radfahrenden, dass sie doch vorne Platz suchen sollen. In diesem Moment zählt jede Sekunde. Auf dem Bahnsteig war aufgrund des Wechsels von Passagieren noch immer viel los. Mit schnellem Puls und hastigem Schritt laufe ich auf den ersten Wagen zu - und bekomme den Zug. Dabei wollte ich doch erst Herzrasen bekommen, wenn ich auf der Tour einen Berg qualvoll hoch- und rasend herunterfahre.

 

Running-Gag: Von Cottbus nach Zittau (Endstation) habe ich anstatt 5 nur noch 2 Minuten zum Umsteigen und komme auf Gleis 5 anstatt auf Gleis 2 an. Mein Weg zu Gleis 3 beginnt mit dem Tragen des Rades und voller Montur die Treppen runter und wieder rauf. Der Spruch, dass das Abenteuer bereits mit dem ersten Schritt beginnt, hat sich also wieder einmal bewahrheitet! #rennenstattfahren

 

Noch bevor ich in Zittau ankomme, richten sich meine Blicke immer wieder in Richtung Berge (für Menschen aus alpinen Regionen sind es eher Hügel). Schon jetzt bin ich wieder beeindruckt wie schön wir es hier doch haben in Deutschland! Besonders im Sommer mit den weiten, bewirtschafteten Feldern, riesigen Wäldern und tolle Naturschutzgebieten. In mir wächst Euphorie und Anspannung im Hinblick auf die Länge der Tour in gleichem Maße. 

 

Grenzwertig wird es als ich in Zittau ankomme. Der Ort hat nämlich zwei Anrainerstaaten -  Tschechien und Polen. Mehr Osten geht nicht!

Tag 1: Eine Berg- und Talfahrt

Kaum bin ich aus dem Zug ausgestiegen, starte ich das Navi und lade die GPX-Daten. Auf der Anzeige steht: Noch 405km. Na dann mal los!

 

Gleich zu Beginn habe ich eine rasante Fahrt vor mir, wo die Scheibenbremsen das erste Mal gefordert werden. Ich fahre durch Häuserschluchten hindurch und habe das Gefühl, ich bin östlichen San Francisco angekommen. Ein breites Grinsen zeichnet sich in meinem Gesicht ab. Es sind immer noch warme 23°C und es ist windstill. Es sei denn, ich fahre den Berg mit knapp 45 Sachen herunter. Wie schon erwähnt liegt die Quelle nicht in Zittau. Hier folgt man dem D4 auf über 20km bis in zur Quelle der Spree. Von Anfang an geht es am Wasser entlang und immer abseits der ansonsten stark befahrenen Straßen.

 

Ich bin jetzt schon begeistert, was mir der Spreeradweg bzw. der D4 bietet. Es war bisher die richtige Entscheidung! Aber wird sie es bleiben? Werde ich es physisch durchstehen täglich knapp 200km zu fahren? Aus diesem Grund will ich jetzt noch wenigstens 50km fahren! #kurbeln

 

Nach einigen Kilometern wird mir schnell klar: Das hier ist nicht Berlin und auch nicht der große Müggelsee. Für einen Flachlandtiroler wie mich werden schon einige Höhenmeter zu einer kleinen Tortur. Ich luchse immer mal wieder zur Garmin und sehe einen Puls von fast 180 und schüttel unglaubhaft meinen Kopf - wie kann man nur so unfit sein! Unter ächzenden Lauten denke ich mir: Fängt ja gut an! Aber ist ja auch genau das, was ich wollte, oder? Genau deswegen bin ich hier. Und wenn es Bergauf geht, geht es schließlich auf wieder bergab - nur doppelt so schnell - mindestens!

 

Und weil ich so schnell Fahrt aufgenommen habe, sehe ich alsbald das erste Schild vom Spreeradweg. Darauf ist ein blauer Fluss, das Brandenburger Tor und ein grüner Hügel zu sehen, auf den ich mich allmählich zu bewege.

 

Die Sonnenstrahlen färben rötlich und der Duft von feuchten Wiesen und Gräben liegt in der Luft. Eigentlich der perfekte Zeitpunkt, um sich einen Schlafplatz zu suchen für die Nacht. So richtig will sich aber nicht finden lassen und viele Kilometer habe ich auch noch nicht geschafft. Es ist dunkel geworden und der Scheinwerfer weist mir nun meinen Weg, was die Suche nicht einfach macht. An einem See angekommen, sehe ich für mich den perfekten Platz und höre gleichzeitig in naher Entfernung lautes Grölen von betrunkenen Jugendlichen. Ich mache kehrt, denn Ruhe ist jetzt genau das was ich benötige. Nicht unweit des Sees bemerke ich rechts von mir einen Hügel. Ein Weg führt dort hinauf. Es ist schon kurz nach 23:00 Uhr und ich will mein Glück nach dem perfekten Platz nicht überstrapazieren. Ich fahre einige Meter hinauf, mit der Gewissheit etwas von der Zivilisation entfernt zu sein, um noch einige Stunden zu rasten.

 

Das Zelt ist schnell aufgebaut und ich liege schon im Schlafsack - freue mich auf mein Abendessen - bis mir, als das Wasser zu kochen anfängt, einfällt, dass ich das Besteck zu Hause vergessen habe. Schnell gehen mir alle verfügbaren Alternativen bei knurrendem Magen durch den Kopf. Ich habe einfach nichts da und so esse ich den letzten Energieriegel, putze noch fix meine Zähne und schlafe schnell ein. Die erste Nacht wird sehr unruhig für mich, weil ich nicht wirklich auf einer Ebene liege. Der nächste Tag kann nur besser werden.

Tag 2: Heutiger Endstand: Mücken 20 - Michael 0

Ich spüre die Morgendämmerung und schaue mit verquollenen Augen auf die Armbanduhr. Es ist kurz nach 4 Uhr. Wenn ich jetzt aufstehen würde, weiß ich, dass ich das heute nicht packen würde. Ich schließe meine Augen und versuche noch etwas Energie zu tanken. Zwei Stunden später kann ich mich dazu bewegen aufzustehen. Das nicht ganz grundlos, denn vor mir liegen immerhin 180km mit einigen, weiteren Höhenmetern. Selbst, wenn die Routine noch nicht da ist: Der Schlafsack, die Isomatte und das Zelt sind innerhalb von 10 Minuten gepackt. Das Zelt wurde vorher kräftig geschüttelt und vom Morgentau befreit. Ein schöner Vorteil im Sommer: Es ist angenehm warm am Morgen und die Aussicht ist gar nicht mal so schlecht. So langsam macht sich die Freue breit, wenn wieder den Asphalt unter den Rädern zu spüren. Zusätzlich fühlen sich die klammen Fahrradklamotten angenehm, weil kühlend, auf der Haut an. Top! Ich fahre langsam den Berg hinunter und mach mich weiter auf in Richtung Berlin - oder zumindest Cottbus. 

Nächster Halt ist am Supermarkt in Großpostwitz, um den Wasservorrat für den heutigen Tag deutlich zu erhöhen. Gestern startete ich mit knapp 1,4 Litern, was gerade so gereicht hat. Die Trinkflaschen und mein Camelbak werden mit 3 Litern Wasser und meinen Körper mit einem saftig, belegtem Brötchen vom Bäcker gefüllt. Mir geht es blitzartig besser und ich genieße den Weg an der Spree. Dieser schlängelt sich durch idyllische Orte, immer mit Ausblick auf die Berge wie den Mönchsberg, Adlerberg, Teufelskanzel und so weiter. Die Spreeradtour findet ihr erstes, größeres Ziel in der ostdeutschen Senfhauptstadt überhaupt - Bautzen. Ich komme kaum aus dem Staunen heraus, als sich vor mir eine riesige Brücke auftut unter der ich fahre, um dann die Stadt Bautzen, das politische und kulturelle Zentrum der Sorben, auf kurzem Wege zu erkunden. Auch, wenn ich aufgrund der kurzen Zeit nicht viel von der Stadt mitnehmen kann, habe ich mich doch sogleich in sie verliebt. Bautzen kommt mir am Spreeradweg etwas vor wie eine italienische Bergstadt. Bautzen - wir sehen uns auf jeden Fall wieder. Die vermeintlich tolle Stadt verabschiedet mich mit einem letzten harten Anstieg, bis ich an der riesigen Talsperre vorbeikomme. Spätestens hier hätte ich mein gestriges Nachtlager gefunden. Hätte, Hätte, Fahrradkette oder wie in meinem Fall Riemen. Dieser führt mich geräuschlos auf dem Radweg entlang. Immer wieder staune ich, wie gut der Weg ausgeschildert ist und wie wenig ich mit Autoverkehr zu tun habe. Ich bin glücklich auf meinen zwei Rädern und so rolle ich zwischen Feldern und Wäldern immer weiter. Das Wetter meint es auch immer noch gut mit mir. Weiterhin ist es windstill und der Himmel stark bewölkt. Das soll sich aber spätestens morgen ändern. 

Auf meinem Navi sehe ich jederzeit den Fortschritt und das Höhendiagramm. Es geht immer weiter abwärts. Auf die Strecke gesehen natürlich sehr, sehr langsam, aber ich spüre es bereits jetzt in den Beinen und in meiner Laune. Alles geht schon viel einfacher voran und meine Durchschnittsgeschwindigkeit erhöht sich, im Gegensatz zu meinem Puls gestern. Auf dem Weg fallen mir immer wieder die geöffneten und gut gefüllten Restaurants auf. Ich habe zwar Energieriegel und Fertigessen eingepackt, aber nach der langen Zeit der Schließungen, bin ich doch gewillt endlich wieder lecker in einem Restaurant zu speisen. Zur Mittagszeit ist es sowieso das Beste, was ich machen kann. Und nicht schmeckt zur Mittagsrast besser als ein gekühltes Radler! Wohl bekomms! Endlich etwas anderes zu trinken als Wasser ist eine wohltuende Abwechslung. Ich bestelle noch ein großes Spezi und fahre genügsam weiter. Jetzt schaffe ich die anderen 140km locker!

 

Weiter geht es durch flachere Heide- und Teichlandschaften der Oberlausitzer Heide, vorbei an Braunkohletagebauten. Hier in der Lausitz ist es ein wahres Paradies mit dem Rad. Nicht nur auf dem Spreeradweg, sondern auch auf der Lausitzer Seenland-Route mit knapp 191 Kilometern Länge. Die Wege sind allesamt neu und besten asphaltiert. Es fühlt sich an wie auf einer Rennstrecke für die Formel 1 und genauso trete ich ins Pedal, denn vor mir zieht eine dunkle Wand auf. Das Regenradar zeigt violette Flecken direkt in meiner Nähe an. Ich bin ehrlicherweise nicht abgeneigt, einmal komplett vom Regen durchgewaschen zu werden, denn der Schweiß der letzten Nacht und von heute klebt noch immer auf meiner Haut. In den kommenden Minuten fallen leider nur einige Tropfen, die wie der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein, nicht wirklich erfrischend sind. Hier in der Lausitz kommen mir schon mehr Radfahrende entgegen, die ihre Tagestouren machen. Der Weg führt mich immer wieder durch kühle Wälder hindurch, was eine wohltuend für meine Physis ist.  

 

Orte mit den Namen Sprey oder Spreewitz lassen mich nicht daran zweifeln, dass ich auf dem richtigen Weg bin - Navi hin oder her.

 

In der Ferne sehe ich bereits das Braunkohlekraftwerk mit dem Namen "Schwarze Pumpe" in Spremberg, als ich an der Spremberger Talsperre entlang fahre. Kein besonders schöner Anblick in der sonst so vielfältigen, abwechslungsreichen und naturalen Umgebung. Wer die Türme des Kraftwerks sieht, weiß, dass es nicht mehr weit bis nach Cottbus ist. Darum gönne ich mir eine Pause bei 2 Gläsern Cola und einem Glas Sprite. Ein Teufelskreis beginnt, wenn der Zucker erst einmal im Blut ist und der Insulinhaushalt verrückt spielt. Der Teufel hält sich heute aber seltsamerweise zurück und so habe ich keine zufällig, daherkommenden Heißhungerattacken. Generell scheine ich alle aufgenommenen Flüssigkeiten zu verdampfen, da die Dringlichkeit auf die Toilette zu müssen gegen null tendiert.

 

Heimische Gefilde

Angekommen in Cottbus fühlt es sich so an, als wäre ich schon fast zu Hause. Mein Aufenthalt in Cottbus war jedoch nie länger als 30 Minuten. Der Grund ist so einfach wie plausibel. Ich war immer auf Durchfahrt mit dem Drahtesel, z.B. auf dem Gurkenradweg (260 km), der auch sehr zu empfehlen ist. Cottbus, du hast mehr verdient als eine Durchfahrt! Aber nicht heute - nicht heute.

 

Von Cottbus geht es in Richtung des inneren Ober- und Unterspreewaldes über Lehde, zu den bekanntesten Orten wie Lübbenau, Lübben, Schlepzig und Alt Schadow. Auch hier ist das breite Netz von Fahrradwegen ein Traum, wodurch sich immer wieder ein neuer Weg und ein neues Abenteuer ergeben. Ein kleines Highlight sind auch die vielen, kleinen Brücken, die zu überqueren sind. Willkommen im Venedig der Gurken.

 

Mein Etappenziel namens Cottbus habe ich hinter mir gelassen und nähere mich in großen Pedalschritten Burg im Spreewald. Es ist schon fast 19 Uhr und ich will nicht wieder so ein Such-Desaster wie am gestrigen Abend haben. Außerdem benötigt mein Körper einen gewissen Grad an Hygiene. Die Entscheidung fällt auf einen See in der Nähe, dem Byhleguhrer See. Die Bilder aus der Suchmaschine sehen vielversprechend aus - Deal! Mein nächster Halt ist ein gehobenes Restaurant, denn ich habe unmenschliches Verlangen nach Nahrung, wobei ich nach einer Tour von knapp 170 Kilometern immer nicht weiß, ob es Hunger oder Durst ist. Ich bestelle mir einen großen Teller zu Essen und ein Radler, ein KiBa und eine Cola. In meinem Bauch müsste bei der Kombination die Hölle los sein - aber nichts tut sich - ein Glück. Ich komme mir auch etwas deplatziert vor mit meiner Fahrradkleidung und so alleine unter den Familien und Pärchen, die sich ordentlich herausgeputzt haben. Aber der Moment des Deplatzierten schwindet genauso schnell, wie er gekommen ist.

 

Ich fahre zum See, der von Burg knapp 10km entfernt liegt und staune nicht schlecht, als ich einen Campingplatz vorfinde, der, wie auf den Suchmaschinen-Bildern, eine kleine Badestelle aufweist. So habe ich mir das nicht vorgestellt, denn, um den See herum ist nur pure Natur und keine wirkliche Stelle zum Ruhen. Ich versuche es trotzdem und fahre mit meinem Fahrrad durch ein wahres Mückenparadies. Wenn ich anhalten muss, weil das Gelände so abschüssig ist, da es nur für Wanderer ist, die hier vor gefühlt 10 Jahren entlang gegangen sind, bin ich immer wieder gezwungen abzusteigen. In der Zeit näher sich ein Schwarm von Mücken, die sich auf mich absetzen, um ihren Durst zu stillen. Im Hinterkopf meine Fjällräven G-1000 Sachen, die sich in der Satteltasche befinden - grandios! Ich verabschiede mich schnellstmöglich vom See und fahre zurück zum vermeintlichen Campingplatz, begebe mich auf die Suche nach einer Service-Kraft und werde um die Uhrzeit, es ist knapp 21 Uhr, noch fündig. Für 5€ kann ich mir einen Platz nehmen, wobei ich ihr versichere, dass ich am frühen Morgen schon wieder weg bin. Das Zelt in Handumdrehen aufgebaut, bewege ich meinen klebrigen und mit Mückenstichen übersäten Körper in Richtung Wasser. An der Badestelle mit Sandstrand angekommen baut hier noch jemand seine Slackline ab. Ich pelle mich aus der Kleidung und fühle mich erst wieder wie ein Mensch, als ich nach einigen Minuten wieder das warme Seewasser verlassen. Natürlich darauf bedacht, mir zügig, die G-1000 Kleidung anzuziehen, damit mich auch ja keine Mücke stechen kann. Und selbst dann landen sie auf meinen Ohren und auf der Stirn - blutrünstige Monster! Es reicht! Ab ins Zelt und schlafen.

 

Ich habe nur das Innenzelt aufgebaut und das sollte sich als Fehler hinausstellen, denn als ich schon in der tiefen Schlafphase war, so gegen Mitternacht, werde ich wach und nehme jetzt immer lauter ein Tröpfeln wahr. Es darf doch nicht wahr sein. Es war doch kein Regen vorhergesagt! Zügig winde ich mich aus dem Schlafsack hinaus und laufe halbnackt um das Zelt herum, um das Außenzelt anzubringen. Nach knapp 3 Minuten habe ich auch das erledigt und gehe schmollend ins Bett. Genauso schnell schlafe ich auch wieder ein - als wäre nichts gewesen - mit dem diesmal beruhigenden Tröpfeln des Regens auf dem Außenzelt. Und ein Glück jucken die Mückenstiche nicht - noch nicht.

 

Tag 3: Mit einem weinenden & tränenden Auge

Vom Campingplatz breche ich gegen kurz vor 7 Uhr auf. Eine Uhrzeit, wo noch viele in den Federn liegen. Einige haben sicherlich schon die eine Frage im Kopf, die immer gefragt wird nach so vielen Kilometern im Sattel. Nein, mein Hintern tut nicht weh. Und das aus gutem Grund, denn ich habe einen Ledersattel von Brooks (B 17), der schon 6.000km eingefahren ist. Der hat sich so besten meiner Anatomie angepasst. Außerdem fahre ich mit einem Triathlonlenker-Vorbau. Vorteil hier ist, dass ich zum einen schneller bin, durch weniger Luftwiderstand und zum anderen das Gewicht nach vorne verlagere und somit weniger Druck auf den Po bekomme. Die Fahrradhose mit den Gelpolstern tut ihr Übriges. Pro-Tipp: Trage nie Unterwäsche unter einer Fahrradhose, denn dann tut dir wirklich der Hintern weh.

 

Noch ist es bewölkt und ich komme noch einmal durch Burg hindurch, da die Route zum See gestern eine kleine Rückfahrt war. Nach Burg geht es also wirklich weiter und wie schon oben beschrieben, komme ich durch die wundervolle Spreewaldlandschaft, die nicht nur mit dem Fahrrad ein Traum ist, sondern auch für Kanufahrer, die das Ruhige lieben. Wer sich fahren lassen will, kann den Spreewald auch mit einer Kahnfahrt auskosten. 

 

Durch den kleinen Umweg zum See, habe ich heute dann doch noch einmal 200 Kilometer auf dem Tacho zu stehen. Gestern waren es knapp 190 Kilometer. Ich weiß schon jetzt, dass dieser Tag sehr anstrengend sein wird. Denn, wenn die Sonne einmal herauskommt und mich über 12 Stunden lang dauerbestrahlt, kann das schnell gefährlich werden - Stichwort: Sonnenstich.

 

Ab dem Spreewald ist wirklich alles flach und Höhenmeter sind bis nach Berlin sowas wie eine Legende. Das schlägt sich auch auf meinem Tempo nieder, denn ich komme wirklich gut voran. 70 Kilometer durch urige und üppige Wäldern, immer auf Asphalt und ab und an auf befestigten Waldwegen, sind nach knapp 4 Stunden relativ schnell geschafft. Doch dann kommt die Sonne heraus und mein Durst wird unermesslich. Auch, wenn ich eigentlich weiß, dass kalte Getränke und Zucker nichts gutes sind, hole ich mir so oft es geht eine Cola und verschiedenen Varianten, strecke diese immer wieder mit Wasser und fülle sie in meine Trinkflaschen ab. Immer öfter mache ich Hal, wenn ich ein schattiges Plätzchen suche. Ich spüre den Kräfteverzehr immer mehr und weiß, dass, wenn ich die Pause zu lange strecke, mein Körper in den Ruhemodus verfällt und es danach umso schwerer wird weiterzumachen. So geht es Kilometer um Kilometer vorwärts und ich bin so dankbar, dass die Wege in einem perfekten Zustand sind und darüber hinaus durch waldige Gebiete führen, die mir Schatten spenden. Nur noch 80 km bis nach Berlin. Was ich ohne Gepäck und nach ausreichendem Schlaf wahrscheinlich in knapp 3 1/2 Stunden schaffen würde, zieht sich jetzt wie Kaugummi. Je näher ich dem Ziel komme, desto weiter entfernt sich mein Willen, das Ziel zu schaffen. Langsam setzen auch leichte Kopfschmerzen ein und ich setze meinen Helm immer mal wieder ab. Keine Ahnung, ob es durch die Hitze kommt oder durch den überhöhten Zuckergenuss. Sicherlich beides. Was ich jetzt benötige, ist ein kalter Kakao und so halte ich an einem privaten Café an. Es gibt nur Milch in Zimmertemperatur - nehm ich dankend an. Die gibt mir noch mal den Extraschub an Kraft und so komme ich da an, wo es mich fast jedes Wochenende hin verschlägt - an den großen Müggelsee. Hier drehe ich, so oft es geht, eine Runde von 50km. Es ist 18 Uhr und das Treten fällt mir jetzt schon etwas schwerer, aber das Ziel, Berlin Köpenick, ist nah. Das Navigationssystem läuft jetzt nur noch aus Gründen der Aufnahme der gefahrenen Strecke. Und sehe ich, wie es nur noch wenige hundert Meter sind, die mich von meinem großen Ziel, den Spreeradweg an einem Wochenende zu fahren, trennen. Meter um Meter, Ampel um Ampel, komme ich im Großstadtlärm Berlin, der mir egal ist, denn ich bin es gewohnt, der Brücke in Köpenick, dem Ziel, näher.  Ein Gefühl von Erleichterung setzt in mir ein und steigert sich in eine Art Glücksgefühl. Ich könnte weinen vor Freude, aber doch unterdrücke ich es, denn: Ich habe noch 20km vor mir.

 

Kaum zu Hause angekommen, lasse ich mir ein kühles Bad ein. Ich habe schon lange nicht mehr so dreckiges Wasser gesehen. Nachdem ich aus der Wanne raus bin, setzt bei mir eine Art Schüttelfrost ein. Ich kenne das noch vom Münchener Marathon, als ich körperlich komplett fertig war und habe den Zustand akzeptiert. Meine Zähne haben geklappert und mein Kiefer wurde steif. Meine Muskeln am Körper vibrierten unermüdlich für einige Minuten. Mit leichter Übelkeit legte ich mich ins Bett und ruhte mich aus. Erfreulicherweise kam nach einiger Zeit der Hunger wieder und alles war wieder in Ordnung. Eine wahrhafte Tour de Force, die ich aufgrund des perfekt ausgebauten Weges sehr genossen habe. Das nächste Mal würde ich tatsächlich mehr Zeit für den Weg nehmen, denn alleine für Städte wie Bautzen und Cottbus, sollte mehr Zeit da sein. Landschaftlich gibt es dermaßen viel zu sehen, dass es egal ist, ob man mit 12 oder 30 km/h entlang fährt. Sattsehen wird man sich nie. Was als Nächstes kommen wird? Nun, in Deutschland gibt es noch so einige Fernradwege, die erkundet werden wollen. Wo ein Wille ist, ist auch ein (Fahrrad)Weg!

Fazit

Wunderschön ausgebaute  Radwanderwege mit einer Landschaft, die sich vor nichts zu verstecken braucht, ist nicht nur im Ausland anzufinden, sondern auch hier - mitten in Deutschland. Der Spreeradweg hatte wirklich viele zu bieten und das inmitten einer wundervollen Welt von Biosphären- und Naturschutzgebieten. 

Kompromisslos den Kompromiss suchen

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